Von Solomon Herrin
übersetzt von Beate Hoidn
Nur 45 Minuten außerhalb von Arusha, an den Hängen des Mount Meru, liegt ein Dorf, in dem Maasai in einer Dorfgemeinschaft leben, die für jeden Außenstehenden fremd ist.
Ich hatte das Privileg, diese faszinierenden Menschen zu besuchen und ich war überwältigt von ihrer einzigartigen Kultur. Die Maasai leben nomadisch und verlassen alle paar Jahre ihre aktuelle Siedlung und siedeln sich woanders neu an. Sie führen ein Leben ohne Strom, ohne fließendes Wasser und sind ziemlich oft von der Außenwelt isoliert. Das bedeutet, sie bauen ihre eigenen Häuser, machen Feuer mit trockenem Holz und Zebradung, jagen und sammeln ihr eigenes Essen und verzichten auf viele Facetten der Modernität, da sie ihre traditionelle Lebensweise bewahren möchten.
Meine Reise in das Maasai-Dorf begann um 8:00 Uhr morgens. Ich und zwei weitere Freiwillige wurden von einem lokalen Guide abgeholt. Es folgte eine atemberaubende Fahrt von der Stadt Arusha in die Außenbezirke des Arusha Nationalparks. Während dieser Fahrt schauten wir staunend aus den Autofenstern und sahen wie sich die belebten Straßen von Arusha in lange Landstraßen verwandeln, umgeben von endlosen Landschaften. Wir hatten das Glück zwei Giraffenherden zu sehen, was uns dazu veranlasste, am Straßenrand zu parken und durch den Busch zu laufen, bis wir diese majestätischen Tiere aus der Nähe sehen konnten. Unnötig zu sagen, dass ich mich in der Gegenwart dieser großen Tiere kleiner fühlte als jemals zuvor in meinem ganzen Leben.
Schließlich bogen wir von der Hauptstraße ab und fuhren durch den Busch, bis wir unser Ziel erreichten. Bei unserer Ankunft wurden wir sofort von einer Gruppe Maasai-Frauen mit einem traditionellen Lied begrüßt. Wir wurden dann in ein typisches Maasai-Haus geführt und in traditionelle Gewänder gekleidet. Ich wurde in rotes Tuch gewickelt und bekam einen handgeschnitzten Gehstock. Die beiden Frauen, mit denen ich unterwegs war, trugen blaue Gewänder. Ich bin ein weißer Mann aus den Vereinigten Staaten, trotzdem fühlte ich mich sofort wohl, als hätte ich eine zweite Heimat gefunden und das, obwohl ich in eine so fremde Kultur eingetaucht war. Meine Hautfarbe und mein Herkunftsland bedeuteten den Maasai nichts. Ich wurde willkommen geheißen, als ob ich einer von ihnen wäre.
Das Dorf war recht klein und bestand aus weniger als 20 Hütten, von denen viele nicht größer waren als mein Zimmer in den Vereinigten Staaten. Wir waren umgeben von einer endlosen Ebene, gefüllt mit Büschen und Akazienbäumen. Der Blick auf den Mt. Meru, den zweithöchsten Berg in Tanzania war spektakulär und wir waren von seiner großartigen Erscheinung überwältigt. Sehr schnell spürte ich die extremen Klimaunterschiede hier in Tansania, denn die heiße, trockene Luft und das helle Sonnenlicht machten einen großen Unterschied zum milden Klima im Hochland von Arusha.
In Maasai-Gewänder gekleidet nahmen wir an einem traditionellen Tanz teil, der ganz anders war als das, was ich bisher in den Clubs und Bars in der Stadt erlebt hatte. Ihren Gesang begleiten die Maasai durch viele Sprünge. Jede Bewegung wird vom Klingeln der mit Glöckchen bestickten Halsbänder der Frauen begleitet. Die Maasai-Frauen rasieren sich die Haare, bis sie fast kahl sind und in ihren Ohrlöchern steckt eine bunte Reihe von Ohrringen hängt. Fast alle Maasai im Dorf lassen sich einen Zahn ziehen, denn das ist eine ihrer vielen Traditionen. Die Männer des Dorfes hatten alle Zeichen auf ihrem Arm, die entweder eingeritzt oder eingebrannt waren.
Nach unserem Tanz setzten wir uns hin und genossen den wohlschmeckenden traditionellen Tee. Nun konnten wir unserem Guide einige Fragen zur Maasai Kultur stellen. Ich fand viele der Traditionen sehr faszinierend, besonders die Initiation, die alle Maasai-Männer mit ca. 20 Jahren durchlaufen. Hierbei müssen sie sich auf eine höchst gefährliche und anstrengende Mission begeben. Früher mussten sie hierfür einen Löwen aufspüren und ihn töten. Dies wurde von jedem Jungen verlangt, damit er ein Krieger werden konnte. Sobald sie einen Löwen getötet hatten, brachten sie einen Beweis davon zurück ins Dorf und anschließend wurden die jungen Männer bei vollem Bewusstsein beschnitten, ohne Medizin, um den Schmerz zu betäuben. Wer bei der Beschneidung weinte, galt als Versager und früher konnten sie dafür sogar getötet werden. Heute ist das allerdings etwas anders. Die Jagd auf Löwen ist von der tansanischen Regierung verboten. Mit Hilfe von strengen Anti-Wilderei-Gesetzen versucht man die Löwen zu schützen, deshalb müssen die jungen Männer bei der Initiation ihren Mut anderweitig beweisen. Nach bestandener Mutprobe wird immer noch ohne Betäubung die Beschneidung durchgeführt. Bei jedem Jungen schauen die alten Männer und Krieger der Dorfgemeinschaft zu. Wer weint, gilt immer noch als Versager, aber getötet werden sie hierfür nicht mehr. Die Schande, geweint zu haben, ist groß genug.
Anders als in der westlichen Welt, wo die traditionellen Geschlechterrollen von feministischen und LGBTQ-Aktivistengruppen in Frage gestellt werden, bleiben die Maasai nach Geschlechtern getrennt. Die Rollen und Aufgaben für Mann und Frau sind klar getrennt. Den Männern wird die Rolle des Kriegers zugeschrieben, sie bauen die Hütten, sie müssen für die Gemeinschaft jagen und die Familienmitglieder gegen Feinde von außen beschützen. Zusätzlich sind sie dafür zuständig, die großen Kuhherden nachts zu schützen, damit ihnen keine Kuh abhanden kommt. Je mehr Kühe ein Maasai-Mann besitzt, umso reicher ist er und umso mehr Frauen kann er heiraten. Richtig reiche Maasai haben mehrere tausend Kühe und zehn Frauen und mehr.
Die Frauen sind für den Ablauf innerhalb der Gemeinschaft zuständig. Sie kochen, putzen, melken die Kühe, kümmern sich um die Kinder und deren Erziehung und sind zuständig für das Wohl des Mannes und auch für den reibungslosen Ablauf innerhalb der großen Familie.
Frauen werden leider trotz Verbots der Regierung, noch sehr häufig beschnitten, werden zur Vermehrung des Kuh-Reichtums an andere Männer verkauft und zur Heirat gezwungen. Bereits im Kindesalter müssen sie viel arbeiten und hüten die Jungtierherden, weshalb sie auch oft nicht zur Schule gehen.
Nach einem langen Gespräch mit unserem Guide wurde ich einer Gruppe mit Kriegern des Dorfes für einen weiteren Tanz zugeteilt. Der zweite Tanz an diesem Tag, erwies sich als ziemlich anstrengend, vor allem wenn man bedenkt, wie lange ich in der Nacht zuvor gefeiert hatte. Danach hatten wir die Gelegenheit, einige handgefertigte Maasai-Kunstwerke zu kaufen. Wir hatten das Glück, dass uns faire Preise für alles geboten wurden und sowohl für mich als auch meine Begleiter das Handeln entfiel.
Wir beendeten unseren Tag mit dem Besuch eines Tiermarktes im nahegelegenen Dorf, der für eine so kleine Stadt recht lebendig war. Die Straßen waren voll ambitionierter HändlerInnen und KäuferInnen, die geschäftstüchtig über ihre Ziegen und andere Nutztiere verhandelten. Das bunte Treiben eines afrikanischen Marktes. Nachdem wir den Markt etwa dreißig Minuten lang erkundet hatten, kehrten wir zurück zum Auto und machten uns auf den Weg nach Arusha.
Alles in allem bleibt mein Besuch bei den Maasai unvergesslich. Ich konnte in eine faszinierende Kultur eintauchen und traf tolle Menschen. Die Begegnung mit einer so einzigartigen Kultur, mit warmen, freundlichen und gastfreundlichen Menschen war eine Erfahrung wie keine andere und ich werde diese Erinnerungen für den Rest meines Lebens bewahren. Ich würde jedem interessierten Reisenden, der sich in Tansania oder Kenia befindet und mehr über indigene Kulturen erfahren möchte empfehlen, einen Tag mit den Maasai zu verbringen.